Stell dir vor

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„Stell dir vor, du wächst auf, ohne zu wissen, dass das Wasser, das du trinkst, die Luft, die du atmest, und die Nahrung, die du zu dir nimmst, radioaktiv verseucht sind. Stell dir vor, du wirst strahlenkrank, und die Ärzte sagen dir lediglich, dass du an einer „speziellen Krankheit“ leidest. Stell dir vor, du findest erst jetzt heraus, dass sich vor 35 Jahren in der Nähe deines Hauses ein großer Reaktorunfall ereignet hat, den die Behörden jedoch verschwiegen. Stell dir all das vor, und du bist erst am Anfang des Schreckens von Musljumowo.“
Die Zeit, 20. März 1992

Musljumowo ist ein kleines Örtchen im Süd-Ural, idyllisch am Flusslauf der Tetscha gelegen – und doch stehen dieser Ort und die Region um die Atomanlage Majak für eine der größten vom Menschen verursachten Katastrophen. Wenn man an radioaktive Desaster denkt, so kommen einem Fukushima, Tschernobyl, Hiroshima und Harrisburg in den Sinn. Der Kyschtym-Unfall ist jedoch nur den wenigstens bekannt. So ging es auch uns, als wir durch den Süd-Ural fuhren. Wir kannten den Hinweis vom Auswärtigen Amt, dass man in der Nähe von Tscheljabinsk keine lokal angebotenen Waldfrüchte, Pilze und Beeren verzehren sollte und hatten eine dunkle Ahnung, dass es hier irgendwie mal einen Atomvorfall gegeben haben musste. Doch das wirkliche Ausmaß wurde uns erst deutlich, als wir durch eine spontane Routenänderung unmittelbar diese Region passierten und anschließend im Internet recherchierten. In einigen Artikeln ist die Rede davon, dass der Ausstoß von radioaktivem Material doppelt so hoch gewesen sei, wie bei der Katastrophe in Tschernobyl…

Wir möchten uns nicht als Moralapostel aufschwingen oder uns anmaßen als Laien über etwas zu urteilen, dass wir nur im Vorbeifahren erlebt haben. Aber das, was wir gesehen und gelesen haben, bewegt uns sehr. Auch die Tatsache, dass die Öffentlichkeit und vor allem die direkt betroffenen Menschen erst 1990 und damit über 35 Jahre nach dem ersten Unfall im Werk über die Vorfälle informiert wurden.

Wer Interesse hat, kann nach den Begriffen Majak, Musljumowo (der Ort, den man in den gängigen Navigationsprogrammen nicht mal findet), Kyschtym und Karatschai-See suchen.

Als sei das Ganze nicht schon Belastung genug, lag auf unserer Route nur wenige Kilometer von Kyschtym entfernt die Stadt Karabasch. Hier trafen wir auf eine völlig surrealistische Landschaft von orange-farbenem Wasser, kahlen Bergen und einer Umgebung die uns eher an den Mars als an die Erde erinnerte. Bis heute tötet dort ein Kupferschmelz-Werk im Umkreis von Dutzenden Kilometern sämtliches Leben. Trotz zwischenzeitlicher Schließung kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das Werk 1998 wieder in Betrieb genommen und arbeitet mutmaßlich noch mit den identischen Anlagen von 1914. In Karabasch leben ca. 13.000 Menschen – mit einer Lebenserwartung von deutlich unter 50 Jahren…

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9 Kommentare

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  1. Majak? Nie gehört.
    Karabasch? Ohne Kupfer drehen sich unsere Motoren nicht. Aber zertifiziertes Kupfer gibt’s wohl auch nicht. Macht Sinn darüber nachzudenken…
    Passt bloß gut auf Euch auf!

    Grüße von ebm-papst,
    Steffen Mezger

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    • Genau so ging es uns auch und wir sind uns sicher, es gibt noch weitere ähnlicher Orte – nicht nur in Russland…
      Hoffentlich geht es Ihnen auch gut und Sie haben das ereignisreiche Wochenende wohlbehalten überstanden!
      Beste Grüße nach Landshut

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  2. Ich hoffe ihr seid wohlbehalten durch diese zerstörte Welt gekommen und habt trotzdem einige – besondere – Eindrücke gewonnen. Das gehört wohl leider einfach zu der Welt in der wir leben und was unser Lebensstil verursacht! 😦
    Freue mich schon wieder auf den nächsten Beitrag aus einer hoffentlich wieder heileren Welt.
    Alles Gute!

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  3. Habe da mal ein wenig gelesen. Unfall ist ja wohl das falsche Wort. Das ist ja völliger Wahnsinn was die da trieben und treiben. Und nicht nur ein Vorfall sondern gleich mehrere. Unglaublich.

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    • Hi Nico, wir waren genauso platt und sind deshalb dann auch die ganze Nacht durchgefahren, weil wir einfach nur weg wollten. Gleichzeitig fühlt sich das aber auch merkwürdig an, weil die Menschen vor Ort eben nicht so einfach wegkönnen…

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  4. Sabine Babilon 18. Juli 2016 — 10:04

    Hallo ihr beiden, es ist auf jeden Fall gut, daß junge Leute wie ihr durch diese Welt mit offenen Augen fahren. Und es ist wichtig, darüber zu berichten!
    Sabine und Martin / Sauerland

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  5. G.A. Loos
    Hallo, Pia u. Martin !
    Bis Sibirien habt Ihr ja schon eine große Strecke Eurer Reise hinter Euch gebracht und schon viel interessantes erlebt. Wir freuen uns auf jeden neuen Blog. Ich habe bisher alles auf einen Stick gespeichert.
    Wir wünschen Euch weiterhin eine gute Reise mit vielen unvergesslichen Eindrücken.
    Herzliche Grüße von Oma und Opa aus Arnstadt

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